3: Von der Entbindungsstation direkt ins Heim

Hat man als gerade geschlüpfter Neuankömmling die ersten Strapazen und neugierigen Blicke seiner zukünftigen Verwandten überstanden, freut man sich auf eine Zeit ohne Weißkittel und das Unsicher machen seiner neuen Heimat.

Nach ein paar Tagen war es dann endlich so weit …

Bevor es so weit war, sollte ich aber vielleicht nochmal ein paar Tage zurückspulen. Meine Mutter hatte sich etwas in den Kopf gesetzt und wenn das bei Ihr erstmal so festgebrannt ist, dann sollte da auch nichts dazwischenkommen. Was genau das war, wusste nicht nur mein Vater, sondern auch der damalige Oberarzt, der mich mit seinen geschickten Händen zur Welt gebracht hat.

Meine Mutter hat sich bei ihrem Zeugungsakt nur eins gewünscht, einen Jungen. Wie ihr inzwischen wisst, ist dieser Wunsch auch in Erfüllung gegangen. Die größte Panik schob aber der Oberarzt. Denn auch er durfte sich immer und immer wieder anhören, wie wichtig ihr das ist. Ändern konnte er zwar nichts an meinem Geschlecht, aber selbst wenn er es gekonnt hätte, hätte er alles dafür gegeben, dass ich ein Junge werde. Denn er hatte sich, zumindest glaube ich das, Gedanken um sein weiteres Leben gemacht. Na ja, vielleicht hat ja die Angst des Oberarztes und das feste Glauben an einen Jungen bei meiner Mutter die Apokalypse nochmal abgewendet. Nicht auszudenken, was wohl aus mir geworden wäre, wenn ich ein Mädchen, also wahrscheinlich eine Andrea geworden wäre.

Diese Gedanken waren mir damals noch fremd, ich wusste nicht, ob ich Männlein oder Weiblein bin, für mich war nur eins wichtig, ich wollte endlich nach Hause.

Und genau jetzt war es endlich so weit. Verfrachtet in einen Trabant 601 ging es über viele schlechte Straßen und Schlaglöcher von Leisnig direkt nach Döbeln. Es war zwar nur eine halbe Stunde Fahrt, aber mir persönlich kam es vor wie eine Ewigkeit und das habe ich meine Eltern lautstark spüren lassen.

Nur wo haben mich meine Eltern da hingebracht? Empfangen wurden wir von neugierigen fremden Gesichtern. Einige machten mir Angst, eines aber hatten sie alle gemeinsam, für mich sahen alle alt aus.

Wir standen vor einem riesengroßen Haus mit unzähligen Fenstern und einer noch größeren Turmuhr. Bei genauem Hinhören konnte man sogar das Uhrwerk hören. Tik…tak…tik…tak…war es etwa 5 vor 12 für mich? Wo bin ich hier? Einzig allein der riesig angelegte Garten mit Blumen, Wiese und noch mehr Grün in allen Himmelsrichtungen bescherte mir ein warmherziges Gefühl.

Sollte das etwa mein neues Zuhause sein?

Und wieder ging mir die Frage durch den Kopf: „Wo haben mich meine Eltern hier nur hingebracht?“ Die Antwort ist ganz einfach, gelandet bin ich auf kürzestem Weg von der Entbindungsstation direkt im Heim. Und genau hier werde ich auch die nächsten 18 Jahre bleiben. Soviel kann ich schon verraten.

Eine Zeit mit so vielen Erlebnissen und Eindrücken. Eine Zeit voller Überraschungen, aber auch Niederschlägen. Denn genau hier beginnt meine Kindheit und hier werde ich diese auch beenden. Wer jetzt vielleicht denkt: „Was sind das nur für Eltern?“, oder „Ach der arme Kerl, wird er doch direkt ins Heim geschickt“, wird ganz bald eines Besseren belehrt. Denn hier beginnt die schönste Zeit meiner Kindheit und das „Heim“ entpuppt sich als etwas ganz anderes.

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